Ontologisches Coaching – Woher kommt ontologisches Coaching?

Jun 26, 2020 | Karin Treichler

Ontologisches Coaching ist in Europa noch nicht so bekannt, wie in anderen Teilen der Welt. Zum Beispiel in Südamerika ist ontologisches Coaching ein verbreiteter Ansatz im Coaching. Das liegt daran, dass das ontologische Coaching auf der anderen Seite des Atlantiks seinen Ursprung hat. Die Pioniere  wie der Philosoph Fernando Flores und die Coachs Rafael Echeverria und Julio Olalla – stammen aus Chile. Auch der Chilene Humberto Maturana, lieferte mit seinem biologisch-konstruktivistischen Ansatz wesentliche Impulse und Grundsätze für das ontologische Coaching. Das sind nur einige unter vielen, die den ontologischen Ansatz im Coaching entscheidend geprägt haben.

Ontologie, die Lehre des Seins
Die Ontologie hat ihre Wurzeln in der Philosophie und wird als „Lehre vom Sein, vom Seienden“ bezeichnet. Sie befasst sich mit folgenden Themenbereichen: 

– die Frage nach der Existenz (Merkmal des Seins) und der Identität über Veränderungen und Zeit
– das Problem der Totalität (Kausalzusammenhang komplexer Entitäten)
– die Unterscheidung von Dingen, Konstrukten, Prozessen, Zuständen und Ereignissen
– die dynamische Entwicklung von materiellen Systemen, verbunden mit der Dualität vom Sein und Werden
– die nummerische Gleichheit oder Verschiedenheit (Individuation)
– das Thema der qualitativen Gleichheit und Verschiedenheit, dem Allgemeinen oder Besonderen

Wieso ist die Ontologie in Südamerika so verbreitet?
Wenn wir die geschichtlichen Hintergründe von Ländern wie Argentinien oder Chile ansehen, können wir einfach verstehen warum. Vor, während und nach dem ersten und zweiten Weltkrieg waren die beiden Ländern eine beliebte Destination für die Europäer, um ein neues Leben anzufangen. Millionen von Spaniern, Portugiesen, Italienern, Deutsche, Schweizer, Österreicher, Engländer etc. wanderten aus. Oft war es so, dass die europäischen Familien einfach einen Sohn losschickten, um in Südamerika ein besseres Leben anzufangen. In der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires steht ein eindrückliches Museum der Immigranten am Hafen neben dem Puerto Madero. Das Museum war früher ein Hotel, wo die europäischen Ankömmlinge als Erstes aufgenommen wurden. Es hatte Platz für 3000 Einwanderer. Diese wurden eingetragen, verpflegt, informiert und starteten dort ihr Abenteuer auf dem neuen Kontinent. Der ganze Aufnahmeprozess dauerte 5 Tage. Ja richtig, 5 Tage und schon konnten sie in Argentinien arbeiten und sich ein Leben aufbauen. Zwischen 1870 und 1930 trafen rund sechs Millionen Europäer alleine in Argentinien ein. 

Alle sie liessen ihre Familien in Europa in Hunger und Armut zurück. Das war ein harter Schlag für viele. Trotz der neuen Chance in Südamerika, schmerzte es zu wissen, dass die zurückgebliebene Familie unter schlechten Bedingungen, Angst und Krieg lebt. Kontaktmöglichkeiten per Post oder Telefon waren für viele nicht verfügbar. Um diesen Schmerz vergessen zu können, fokussierten sich die Einwanderer auf ihr eigenes Glück und versuchten sich nicht zu stark mit den Wurzeln zu verbinden. Das half sicher in dieser Zeit, um zu überleben.

Die Frage nach den eigenen Wurzeln und die Definition des Seins
Heute befassen sich deshalb viele Südamerikaner mit den Fragen „Wo sind meine Wurzeln? Woher kommen meine Vorfahren? Wer bin ich? Wer möchte ich sein?“ Diese Fragen sind für viele zentral im Selbstfindungsprozess und in der Definition ihres Seins. 
Es gibt nirgends auf der Welt so viele Psychologen pro Einwohner, wie in Argentinien. Der Gang zum Psychologen oder zum Coach ist wie ein Hobby und gehört zur gesunden Psychohygiene einfach mit dazu.